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Die Funktion Von Kunst Und Design Im Wirtschaftsprozess
Patrik Schumacher 1985 - 1995
Analyse der Prägungsphase am Beispiel des Deutschen Werkbundes
Unpublished Manuscript

ERSTE UMKREISUNG
- zeitgeschichtlich relevante Neuheiten: Massenproduktion,Mode, Werbung
- Sinn und Funktion des Kunstbegriffes
- Monopolisierung
- Exkurs: Imperialismus

ZEITGESCHICHTLICH RELEVANTE NEUHEITEN

Das sich damals bahnbrechende Neue ist also das Einspannen von Kunst und angewandter Kunst für den damals sich verschärfenden Konkurrenzkampf der nationalen Industrien auf dem Weltmarkt. Die damals erreichte Kapitalkonzentration und Großproduktion war Voraussetzung zur wirksamen Anwendung des Prinzips künstlerischer Stilprägung und "Handschrift" als Mittel der Markteroberung unter dem Banner inszenierter Markenidentität. Oligopol-konzerne treten auf den Plan und nutzen die  Konzeption der Marke als Stoßwaffe zur verstärkten Monopolisierung und Marktbereinigung. Die anonymen Produkte der anonymen Masse von Kleinbetrieben, die zu klein sind, um eine Identität zu etablieren, werden von Markenartikeln verdrängt. In diesem Moment tritt auch zum ersten mal die Werbung forciert ins gesellschaftliche Leben. Werbung setzt den Komplex Monopol/Marke voraus und bringt ihn umgekehrt erst zu voller Geltung. Die Werbung kreiert die Identität der Marke im Bewußtsein der Verbraucher selbst dann, wenn das Produkt ein identitätsloses Kontinuum wie Seife oder Waschpulver ist. (Bis dahin wurde Seife z.B. nach Gewicht vom Block geschnitten.) Das Identitätsstiftende "Design" beschränkt sich hier auf die Verpackung. Bei Waren, die als greifbare Individuen existieren, wie z.B. Möbelstücke und sonstiger Hausrat, verschmilzt dieser Verpackungs- bzw. Designeffekt mit dem Produkt. Ein weiteres daraus folgendes und damals verstärkt aufkommendes Phänomen ist die beschleunigte Abfolge von Moden (sowohl in der Kunst als auch vor allem) in der angewandten Kunst, d.h. in der Warenproduktion. Eine endlose Abfolge von vor allem ästhetisch definierten Warengenerationen sollen  - auf einem bereits monopolistisch beherrschten, und deshalb kaum noch Wachstum durch Erweiterung der Marktanteile zulassenden Markt -  die Nachfrage in immer schnelleren und totaleren Zyklen künstlich("künstlerisch") regenerieren.
In jenem zeitgeschichtlich neuen und zivilisationsbestimmenden Komplex Monopol/Marke/Werbung/Mode nimmt damals die Kunst in der Form von Design ("Kunstgewerbe") und unter der Führung des Deutschen Werkbundes ihren neuen und machtvollen  Platz ein.

SINN UND FUNKTION DES KUNSTBEGRIFFES

Die reinen "schönen" Künste waren damals wie heute wichtig als Prestigemetier, das das kulturelle Niveau einer Nation repräsentiert und somit auch die Warenproduktion des jeweiligen Landes ins rechte Licht rückt. Friedrich Naumann, neben Muthesius der eigenliche Kopf des frühen DWB, wußte z.B. "was ein Mann wie Richard Wagner auch volkswirtschaftlich für Deutschland bedeutet hat und noch bedeutet"(8).(Ein guter Grund das Kunst- und Kulturerbe der Nation denkmalzupflegen.) Des weiteren erfüllt die "reine" Kunst die Funktion der ideologischen Veredelung der (kunstgewerblichen) Waren, die, soweit es geht, sich ihrem puren, unzweifelhaften Vorbild anzugleichen streben: So werden Designer- oder Markenartikel zum Orginal, d.h. unnachahmlich und unersetzlich. So heißt es in der Fortsetzung des obigen Zitates aus der Gründungsrede Schumachers:
 "Denn nur die Werte geben im Wettbewerb der Völker den Aus­schlag, die man nicht nachahmen kann."(9)
Das Zusammendenken von Kunst und Design, das sich schon in Begriffen wie angewandte Kunst oder Kunstgewerbe oder auch in Einrichtungen wie Design- bzw. Kunstgewerbemuseen oder Zeitschriften, die diese Bereiche zusammenbringen (z.B. Deutsche Kunst und Dekoration, ab 1897) ausdrückt, war nicht erst im Deutschen Werkbund ein Grundprinzip, sondern z.B. auch schon in der Wiener Sezession.(Die Wiener Werkstätten waren Gründungsmitglied des DWB.) Daß diese Subsumierung der Gebrauchsgüter unter den Kunstbegriff jedoch nicht unbedingt selbstverständlich war und allseits nur begrüßt wurde, zeigt die beißende, zeitgenössische Kritik Adolph Loos' an diesem Phänomen. Loos bezieht sich explizit auf den Deutschen Werkbund: "Den Stil unserer zeit haben wir ja. Wir haben ihn überall dort, wo der künstler, also das mitglied jenes bundes, bisher seine nase noch nicht hineingesteckt hat. ... Der moderne Mensch hält ein untätowiertes antlitz für schöner als ein tätowiertes, und wenn die tätowierung von Michelangelo selber herrühren sollte." (10)
Die bewußte Abkehr vom (mystifizierenden) Kunstbegriff bezüglich Design und Architektur in der frühen Sowjet Union zeigt ebenfalls, daß "Kunst" nicht als selbstverständlicher Wert unhinterfragt vorauszusetzen ist, wenn es darum geht Leitprinzipien einer moderne Konsumgüterindustrie zu definieren. In der frühen Sowjet Union wurde sogar das umgekehrte versucht: das abstrakte Kunstwerk war als formale Vorstudie oder Materialstudie - ohne Kult - der gesellschaftlichen Produktion eingegliedert.
Eine Kritik des Kunstbegriffes bedeutet natürlich keine Aufgabe von Formschönheit und kreativer Produktgestaltung, sondern ein Hinterfragen der gesellschaftlichen Institution, die sich hinter diesem Begriff verbirgt, mit ihrer Logik der Exklusivität, ihrer Mystifikation von Kreativität im Begriff des Künstlers als Genie, ihrer Absolutstellung von individueller bei Nichtanerkennung kollektiver Leistung, ihrer Besessenheit mit Name und Signatur als unabdingbarem Wertzeichen, in völliger Analogie zum Markenzeichen.

MONOPLOLSIERUNG

 Alle diese Phänomene  - Exportwettkampf der Nationen, große Marktbereinigung durch Markenwaren, Moden, Werbung, Ware als Kunst -  spiegeln sich deutlich in der Mitgliedschaft, den Aktivitäten und Äußerungen des DWB und nicht zuletzt auch in seinen Beziehungen zu Wirtschaftsverbänden und staatlichen Stellen. Letztendlich sind diese Phänomene  - der relevante Kontext des DWB -  auf eine dramatische Veränderung der Wirtschaftsstruktur der führenden Industriestaaten während der sogenannten zweiten industriellen Revolution hin zur Monopoliesierung zurückzuführen.
Die neue Machtkonzentration in Monoplol- bzw. Oligopol-konzernen, Syndikaten, Kartellen und Industrieverbänden war im Werkbund klar gesehen und anvisiert:
"Um den einzelnen Käufer zu erziehen, mühen sich in Deutschland allerorten Museen, Vereine, Zeitschriften. Der Werkbund seinerseits wendet sich auch hier vorwiegend an die mächtigen Gemeinschaften, die heute mit unheimlicher Gewalt über den Ruf ganzer Kulturgebiete entscheiden." (Jahrbuch 1912) (11).
Die in zeitgenössischen Traktaten erörterte Tatsache, daß der Konzentrationsprozeß der Wirtschaft in Deutschland und den USA  - den damals am stärksten wachsenden und schließlich führenden Industriestaaten der Welt -  am weitesten fortgeschritten war, diese Tatsache war Hermann Muthesius (dem "Vater des Deutschen Werkbundes") bekannt und Anlaß im Analogieschluß in Deutschland den Ausgangspunkt einer neuen, der Welt vorbildlichen, disziplinierten, architektonischen Formkultur zu sehen:
"Deutschland genießt nun den Ruf, daß die Organisation seiner Unternehmungen, seiner Großbetriebe, seiner Staatseinrichtungen die straffste und exakteste von allen Völkern sei. ... Diese soziale und wirtschaftliche Organisationstendenz hat aber eine geistige Verwandtschaft mit der formalen Organisationstendenz unserer künstlerischen Bewegung. ... Wie gut unsere wirtschaftliche Großorganisation den architektonischen Zug der Zeit zu verstehen beginnt, geht aus dem Umstande hervor, daß Verbände und Betriebe dieser Art der Heranziehung bester Vertreter der Architektur nicht mehr entbehren zu können glauben." (12)
(Als Beispiele seien hier erwähnt: Peter Behrens für die AEG, Bruno Taut für den Deutschen Stahlwerksverband, Hans Poelzig für die Chemiewerke Luban.)
 
Wegen der mit der Monopolisierung einhergehenden militärischen Aufteilung der Welt zwischen den führenden Industriestaaten ist der Begriff des Imperialismus als Epochenbegriff geprägt worden. Imperialismus soll hier jedoch die Totalität einer ökonomisch/­politischen Weltgesellschaftsformation bezeichnen und nicht nur deren militärischen Ausdruck. Als solche Totalität ist Imperialismus der Kontext aus dem heraus ich den Deutschen Werkbund zu begreifen Versuche. Und daß dieser Begriff keine abgeschlossene Epoche bezeichnet, darauf beruht der Anspruch der Aktualität meiner Aufarbeitung der Geschichte des Werkbundes.

EXKURS: IMPERIALISMUS

Erste Voraussetzung des Imperialismus ist die Internationalisierung von Kapital- und Warenverkehr in einer Weltwirtschaft. Eine derartige Weltwirtschaft wurde zunächst durch die weltweite Kolonialwirtschaft Englands geschaffen. Im Gegensatz zum eigentlichen Imperialismus war jene vorhergehende Phase, unter uneingeschränkter industrieller Vormachtstellung Englands, vom Freihandel bestimmt und die Kolonien und Einflußzonen waren noch nicht strikt staatlich/militärisch den jeweiligen Großmächten einverleibt.
Zweite Vorausetzung ist das Auftreten von mit dem englischen Kapital konkurrierenden Unternehmen, vor allem in Frankreich, Deutschland und den USA. Konkuriert wird weltweit um Rohstoff­quellen, Absatzmärkte und Anlagesphären.
Dritte Voraussetzung ist der fortschreitende Konzentrationsprozeß des Kapitals, vor allem auf nationalstaatlicher Basis. Der Siegeszug der Großproduktion, unterstützt durch das Aktien- und Bankenwesen führt zu Monopol- bzw. Oligopol-konzernen, die ganze Wirtschaftszweige horizontal und vertikal integrieren. Banken verschmilzen zu wenigen Großbanken, die wiederum kein Interesse an der Konkurrenz zwischen den von ihnen finanzierten Unternehmen haben. Mittels Kartellen und Industrieverbänden organisiert sich auf nationalstaatlicher Ebene mehr und mehr eine einheitli­che Interessenfront, so daß der Staatsapparat immer gezielter einsetzbar wird für das immer spezifischer definierbare Interesse einer so organisierten nationalen Wirtschaft.
Der Konzentrationsprozeß begann zunächst in der Schwerindustrie. Zur Zeit der Werkbundgründung (1907) folgten auch immer größere Teile der Konsumgüterindustrie der Logik der nationalen Konzentration. Obwohl auch schon eine Tendenz zu multinationalen Kartellen und Absprachen bestand, so waren diese jedoch zu schwach und labil (wegen des Fehlens eines stabilen politischen Rahmens), um den Interessen, die sich auf nationalstaatlicher Ebene formulieren ließen, entgegenzutreten, Interessen, die sich eben Vorteile durch den Einsatz der Staatsmacht verschaffen konnten: Insbesondere durch Zollpolitik, sowie durch nicht nur wirtschaftliche, sondern auch militärische Erpressung und schliefllich Expansion. Zollpolitik und territoriale Expansion erklären sich dabei folgendermaflen aus der zum Monopol fortgeschrittenen Konzentration: Die zunächst aufgrund von kostengünstiger Großproduktion im Wettbewerb gewonnene Monopolstellung erlaubt Extraprofite mittels Monopolpreisen, jedoch auf der damals erreichten Konzentrationsstufe nur unter der Voraussetzung von Zollschutz vor ausländischer Konkurrenz. Der so im Inland erzielte Superprofit wurde dann im Exportgeschäft genutzt, um sich durch "dumping" im Ausland Märkte zu erobern, denn der Zwang zum Wachstum ist unerbittlich und die profitablen Produktionsgrößen sprengten längst jeden nationalen Rahmen. Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts findet eine dramatische Abkehr vom Freihandel statt: Östereich-Ungarn 1878, Deutsches Reich 1879, Frankreich 1881, USA 1883, England, die traditionelle Verfechterin des Freihandels, folgt 1898. Ein regelrechter Zollkrieg mit sich bis zum ersten Weltkrieg immer weiter hochschraubenden Zöllen entbrennt. Unter dieser Voraussetzung ist natürlich das von Zollgrenzen eingeschlossene Territorium entscheidend. Es folgte logisch die militärisch/staatliche Inbesitznahme aller noch freien Länder durch die imperialen Groflmächte (England, Frankreich, Deutschland, USA, Russland, Östereich-Ungarn, Holland, Belgien, Japan). Daß diese Expansion an ihre natürlichen Grenzen stoßen würde und die militärisch/industriellen Mächte schließlich direkt gegeneinander gehen würden, bahnte sich unausweichlich an.
(Gegen diese Logik der Welt-un-ordnung ist die UNO heute so hilflos wie zwischen den Kriegen die League of Nations. Letztendlich gilt nach wie vor: Internationales Recht ist ungeschütztes Recht, bzw. Recht des Stärkeren. Konflikte sind dabei unausweichlich mit zunehmender wirtschaftlicher Verflechtung, gegenseitiger Abhängigkeit und Konkurrenz. Einmischung in "inne­re Angelegenheiten" verbittet sich jeder Staat und zugleich ist jeder Staat bestrebt die "inneren Angelegenheiten" der anderen Staaten zu beeinflussen, denn diese können ihm nicht gleichgültig sein, da er an ihnen leidet oder profitiert.)
Man kann die kriegerische Phase des Imperialismus als die Fortsetzung von Kapitalkonzentration auf höherer Stufe betrachten: Genauso wie in der vorausgegangenen, die Bedingungen schaffenden Phase, Großbetriebe kleinere Konkurrenten schluckten und Konzerne ganze Produktionsketten vertikal integrierten, so schlucken und integrieren nun Staatsmächte als Agenten der hoch organisierten Industrien/Banken ganze überseeische Wirtschaftsräume und Kontinente. Und der durch Monopolisierung innerhalb des Nationalstaates bzw. des so erweiterten Imperiums unterdrückte Wett­bewerb entspringt umso verschärfter auf dem Weltmarkt, als Kon­kurrenzkampf zwischen den Groflmächten. Und genau hier bestimmt sich das eigentliche Schlachtfeld des Deutschen Werkbundes, als der nationalstaatlichen bzw. imperialen Organisation der künstlerischen Produktivkräfte.

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